Christian Joisten

Es fehlt der Blick auf die Fakten

Sehr geehrte Frau Heinen-Esser,

mit Erstaunen habe ich heute Ihre Einlassungen zum Thema Nachtflug am Flughafen Köln/Bonn im „Kölner Stadt-Anzeiger“ zur Kenntnis genommen.

Es hat mich geradezu betroffen gemacht, mit wie viel Unkenntnis Sie ein zentrales Thema Ihres Bundestagswahlkreises kommentieren. Es muss Ihnen doch bekannt sein, dass am Flughafen Köln/Bonn nachts in erster Linie dringende Expressfracht umgeschlagen und durch hochkomplexe Sortieranlagen in alle Teile der Welt versandt wird und dass eben nicht die sogenannte „General Cargo“, wie sie beispielsweise von der von Ihnen zitierten Lufthansa Cargo transportiert wird, den Nachtflug dominiert. Und Sie werden doch verstanden haben, dass dieses Geschäftsmodell von UPS, FedEx und anderen Dienstleistern, die dafür sorgen, dass Ersatzteile für unsere Autos oder für teure Industrieproduktionsanlagen über Nacht aus Übersee geliefert und am Folgetag verbaut werden können, dass dieses Geschäftsmodell nur in der Kernnacht oder eben gar nicht in Köln stattfinden kann!

Seit vielen Jahren schon organisiere ich sehr gut nachgefragte nächtliche Führungen am Flughafen Köln/Bonn, um den Bürgerinnen und Bürgern aus der Nachbarschaft des Flughafens diesen dargestellten Zusammenhang durch persönliches Erleben zu vermitteln. Da Sie scheinbar diese erkenntnisstiftende Erfahrung noch nicht machen dürften, lade ich Sie ganz herzlich zu meiner nächsten Nachtbesichtigung am 24.02.2012 ein! Die weit über 12.000 unmittelbar am Flughafen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben es verdient, dass Sie sich zumindest mit den Fakten auseinandersetzen!

Und selbstverständlich steht außer Frage, dass die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger rund um den Flughafen höchste Priorität genießt und wir somit alle nur denkbaren Anstrengungen unternehmen müssen, um deren Belastungen so gering wie möglich zu halten. Dabei muss auch die Flughafengesellschaft einen Teil Ihres Gewinns weiterhin in aktiven Schallschutz investieren und durch intelligente Bonussysteme Anreize für den Einsatz leiserer Flugzeuge schaffen.

Aber auch hier bitte ich Sie eindringlich, die bisherigen Anstrengungen aller Beteiligten zu würdigen und die objektive Reduzierung der Lärmwerte in den vergangenen 30 Jahren zumindest zu erwähnen. Insbesondere die beteiligten Fluggesellschaften haben in der Vergangenheit durch den Einsatz immer größerer Flugzeuge, die jeweils mehrere kleine und vor allem laute Turboprop-Maschinen abgelöst haben und gleichzeitig nur noch einen Bruchteil des Lärms produzieren, dazu beigetragen, den Lärmpegel zu reduzieren. 

Darüber hinaus haben Flughafen, Fluggesellschaften und die Deutsche Flugsicherung bereits 2009 ein neues Anflugverfahren, den sogenannten „Continuous Descent Approach“ eingeführt, bei dem die Flugzeuge länger in größeren Höhen gehalten werden bevor Sie bei minimaler Triebwerksleistung kontinuierlich absinken wodurch lärmintensive Horizontalflugphasen vermieden werden.

Sie sehen also: Mit ein bisschen guten Willen Ihrerseits ist der „Wille zum Ausgleich“ bei den von Ihnen angesprochenen Akteuren durchaus erkennbar – auch wenn die Zauberfomel, mit der die Arbeitsplätze der Flughafenbeschäftigten vollständig mit der Lärmbelastung der Anwohner versöhnt werden, noch nicht gefunden wurde. Aber an dieser Aufgabe sollten wir weiterhin alle gemeinsam arbeiten und nicht der Versuchung erliegen, die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen.

Unseren hohen Lebensstandard werden wir im Übrigen langfristig nur halten können, wenn wir bereit sind, uns den Herausforderungen einer immer globaleren und sich immer schneller verändernden Welt zu stellen und dabei auch temporäre Kompromisse einzugehen, bis uns technologische Revolutionen vollständig von bestimmten Belastungen erlösen – immerhin ist es rein technisch bereits möglich, völlig lärmfreie Triebwerke zu bauen; bis zur Serienreife wird es allerdings noch etwas dauern.

In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich zu einer sachlichen Debatte zurück zu kehren und sich vor Ort kundig zu machen – bei letzterem bin ich Ihnen, wie beschrieben, gerne behilflich! Meine Einladung an Sie gilt!

Mit freundlichen Grüßen,

Christian Joisten

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